Die Siedlung Meienegg
Wichtiger Zeuge des sozialen Wohnungsbaus
Die Siedlung Meienegg im Berner Stöckackerquartier wurde 1948–1955 vom bedeutenden Architektenehepaar Hans (1915–2003) und Gret (1917–2002) Reinhard im Auftrag der FAMBAU Genossenschaft errichtet. Bereits zur Bauzeit fand das Projekt schweizweit Beachtung. Die Idee einer rein genossenschaftlich finanzierten Wohnsiedlung mit differenziertem Wohnungsangebot, Kindergarten, Konsumladen dem ersten siedlungsinternen Alterswohnheim der Stadt Bern überzeugte. Hundertfach adaptierten daraufhin Wohnbaugenossenschaften und private Bauherrschaften landauf, landab das Prinzip der Meienegg und betteten ihre Mehrfamilienhäuser mit drei, vier, fünf Stockwerken unter Satteldächern in einen für alle Bewohnenden nutzbaren Landschaftspark ein – die typische Schweizer Wohnarchitektur der frühen Nachkriegszeit entstand.
Der Bau der Meienegg war ein Schlüsselereignis in der Entwicklung der beiden Berner Vororte Bümpliz und Bethlehem zur grössten Trabantenstadt, zum grössten sozialen Wohnbauprojekt der Schweiz. Er markiert den Endpunkt der für die Zwischenkriegszeit typischen Reiheneinfamilienhausbebauung mit Selbstversorgergärten, wie z. B. derjenigen auf dem Stapfenacker oder dem Bethlehemacker. Mit den autofreien, gemeinschaftlichen Freiräumen und dem grossen Wohnungsmix nahmen Hans und Gret Reinhard viele Elemente vorweg, die spätestens beim bau des Tscharnerguts oder des Gäbelbachs) in den 1960er- und 1970er-Jahren zum Standard-Repertoire einer neuen Wohnüberbauung gehören sollten.
Pioniersiedlung im Stadtteil VI
Sowohl aus sozial- wie auch aus architektur- und städtebaugeschichtlicher Sicht gilt die heute noch fast unverändert erhaltene Siedlung als der Prototyp des Grosssiedlungsbaus der Nahkriegszeit. Das Bundesamt für Kultur (BAK) weist ihr im Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) deshalb «nationale Bedeutung» zu. Und auch die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (EKD) empfahl der Stadt Bern in ihrem Gutachten von 2015, die Siedlung im Berner Bauinventar von der Kategorie «erhaltenswert» zur Kategorie «schützenswert» aufzustufen. Gemäss Berner Baugesetz dürfen schützenswerte Gebäude nicht abgebrochen werden. Da die Planung des Abbruchs und des Ersatzneubaus zu dieser Zeit jedoch bereits weit fortgeschritten war und der Berner Gemeinderat soeben eine Planungsvereinbarung mit der FAMBAU Genossenschaft unterzeichnet hatte, beliess er die Siedlung entgegen der klaren Empfehlung der EKD in der Kategorie «erhaltenswert».
Hoher Wohnkomfort für sozial Schwächere –
auch heute noch!
Mit ihrem grossen Wohnungsmix an Ein- bis Vierzimmerwohnungen und den damals innovativen, transparenten Wohnungsgrundrissen verkörpert die Meienegg mustergültig das heute noch gültige Ziel der FAMBAU-Genossenschaft, nämlich «möglichst vielen, auch kinderreichen Familien angenehmen und gesunden Wohnraum mit modernem Komfort zu möglichst günstigen Mietzinsen zu bieten». Auch angesichts des gesellschaftlichen Wandels der letzten Jahrzehnte, der zu immer weniger Grossfamilien führte, erfreuen sich die bei Neubauten nur noch selten anzutreffenden Kleinwohnungen der Meienegg nach wie vor grosser Beliebtheit, insbesondere bei sozial schwächer gestellten Menschen – Zugewanderten, Patchwork- und Einelternfamilien, kinderlosen Paaren oder Singles. Die Häuser sind voll vermietet und es gab, bis zur Ankündigung des bevorstehenden Abbruchs durch die FAMBAU, kaum Auszüge aus der Siedlung. Ein Block ganz im Nordwesten der Meienegg beherbergt seit jeher Alterswohnungen (Keltenstrasse 27), jener nebenan ein Altersheim (Keltenstrasse 25), das heute von der Domicil AG betrieben wird und nicht wenigen Erstbezügerinnen und Erstbezügern ein Zuhause in «ihrer Siedlung» bietet.
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