Abbruch einer intakten Siedlung – weshalb?
Viele Baufachleute fragen sich zurecht: Weshalb fasst die FAMBAU den Abriss der Meienegg überhaupt ins Auge? Weshalb nimmt sie als gemeinnützige Institution einen solch grossen Verlust an günstigem Wohnraum in Kauf? Die Vermutung liegt nahe, dass es ihr in erster Linie um eine höhere Ausnützung ihres Grundstücks und um eine Gewinnmaximierung geht, denn baufällig ist die Siedlung nicht. Die Häuser befinden sich, sowohl was das Äussere wie auch das Innere und ihre Umgebung betrifft, in einem guten Erhaltungszustand. Der grosse Anteil an noch bauzeitlich erhaltenen Bauteilen und Ausstattungselementen ist für vergleichbare Siedlungen aus dieser Epoche selten. Eine wirksame energetische Ertüchtigung oder eine Gesamtsanierung der Meienegg wäre, sofern ein Interesse am Erhalt dieses einzigartigen Geschichtszeugen bestünde, durchaus denkbar. So etwa durch gezielte Nachisolationen (Dachboden, Keller, Fenster, Fassade) oder mit neuen Formen der Energiegewinnung.
Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen
Aus Sicht des Heimatschutzes sind auch die sozialen Folgen eines Abbruchs nicht ausser Acht zu lassen: Bis heute ist die Meienegg eine Siedlung mit einer überdurchschnittlich hohen sozialen Dichte. Die Wohnungen sind voll vermietet, bei den Bewohnerinnen und Bewohnern sehr beliebt und es gibt kaum Wohnungswechsel. Nur wenige von ihnen werden sich die Miete einer der Wohnungen im Ersatzneubau leisten können, denn nach eigenen Angaben der FAMBAU in der Berner Zeitung BZ wird diese für eine Dreizimmerwohnung voraussichtlich Fr. 1’300.00 betragen – rund ein Viertel mehr als heute (ca. Fr. 900.00). Ein Abbruch würde deshalb unweigerlich zur fortschreitenden Gentrifizierung von Bümpliz beitragen: Betrachtet man die Entwicklung im «Stöckacker Süd», dem Ersatzneubau der anfangs erwähnten Siedlung Stöckacker, so wurde unter dem Strich auch dort – unter ähnlichen Vorzeichen – preiswerter Wohnraum vernichtet. Gemeinschaftlich genutzte Grünflächen wurden zu nicht mehr benutzbarem Zwischengrün transformiert. Alleinstehende, ältere oder sozial schwächere Bewohnende wurden zugunsten junger, mittelständischer Familien aus dem Quartier verdrängt. Die vormals kulturell und sozial gut durchmischte Bewohnerschaft musste ausziehen und sich ausserhalb der Stadt in den Vororten eine neue Bleibe suchen – die Stadt wächst. Das Gegenteil dessen, was man gemeinhin unter «Verdichtung» versteht, ist eingetreten.
Abriss und Neubau heizen den Klimawandel weiter an
Beim geplanten Abriss der rund 75 Jahre alten Gebäude werden Unmengen an grauer Energie vernichtet. Nur, um dann beim Neubau erneut aufgewendet zu werden. Schon seit vielen Jahren ist sich die Baubranche einig: Sanieren statt Abreissen ist die einzig vernünftige Option angesichts der grassierenden Klimakrise. Ein Abriss und Neubau hingegen stellt einen Umgang mit Ressourcen dar, welcher angesichts der grassierenden Klimakrise nicht toleriert werden kann.
Die Meienegg, ein Werk von Gret Reinhard
Obwohl auf den Plänen nicht schriftlich vermerkt, kann gemäss verschiedenen mündlichen Quellen davon ausgegangen werden, dass der Entwurf der Meienegg – offiziell ein Werk des Architekturbüros Hans und Gret Reinhard – hauptsächlich aus der Feder von Gret Reinhard stammt. Neben der «oral history» sprechen auch die Umstände für diese These, dass Hans Reinhard zur Zeit der Planung der Siedlung bereits mehrere politische Ämter besetzte, Aktivdienst leistete und erst später, beim Bau der Grossiedlungen im Tscharnergut oder im Schwabgut/Gäbelbach eine tragende Rolle im gemeinsamen Architekturbüro übernahm. Die junge Architektin Gret Reinhard war ihrerzeit eine der ersten Frauen im «Bund Schweizer Architekten» (BSA), und die Meienegg wäre, sollte sich die Hypothese bestätigen, eine der ersten von einer Architektin entworfenen Mehrfamilienhaussiedlungen der Schweiz. Aktuell beschäftigt sich ein SNF-Forschungsprojekt an der ZHAW eingehend mit dieser Fragestellung.